Unsere aktuelle Studie zeigt eine erstaunlich vitale Gen 50 plus, die viele Arbeitgeber noch viel zu selten auf dem Recruiting-Schirm haben
Im vierten Quartal des letzten Jahres vermeldete das Statistische Bundesamt Rekordzahlen für den Arbeitsmarkt. 45 Millionen Menschen befanden sich zu diesem Zeitpunkt in Lohn und Brot. So viele wie nie zu vor und wie viele Arbeitsmarktexperten wahrscheinlich zu Recht glauben, so viele wie vielleicht nie wieder. Der Grund dafür liegt auf der Hand. Der Fachkräftemangel ist vor allem ein demografisches Problem. Immer weniger Menschen stehen immer mehr suchenden Arbeitgebern gegenüber. Das bedeutet eben auch: Kein Unternehmen kann es sich zukünftig leisten, auch nur irgendeine Kandidatengruppe im Rahmen der eigenen Recruiting-Strategie zu vernachlässigen. So weit, so klar.
Zu viel Gen Z, zu wenig Gen 50 plus
Nun erleben wir allerdings gerade eine boulevardeske Diskussion darüber, ob die viel beschriebene Gen Z zu anspruchsvoll für den Arbeitsmarkt sei und was sie von den bald in den Ruhestand gehenden Babyboomern unterscheidet. „Arbeitswelt ist kein Ponyhof“ oder „Mehr Bock auf Arbeit“ sind dabei nur zwei Versatzstücke einer Diskussion, die viel zu sehr die junge Generation in den Blick nimmt. Dabei lohnt es sich, viel mehr auf diejenigen zu schauen, die oft voreilig zum „alten Eisen“ gezählt werden. Die Gen 50 plus.
Die Vorzüge dieser Generation müssten eigentlich überzeugend genug für eine gezielte Betrachtungsweise sein. Denn ihre Vertreter sind gut ausgebildet und verbinden hohes fachliches Know-how mit einem reichen Erfahrungsschatz. Zudem verfügen sie über starke Kommunikationsfähigkeiten sowie meist bessere Problemlösungskompetenzen als unerfahrenere Kollegen. Zu oft kämpfen sie trotzdem mit einer eher negativen Wahrnehmung auf dem Arbeitsmarkt, während man der jungen Generation ein erstaunliches Anspruchsdenken inklusive bisweilen geringerer Belastbarkeit fast beiläufig verzeiht. Arbeitgeber, die Mitarbeitende suchen, die eben genau diese Belastbarkeit als persönliche Stärke einbringen, finden vielleicht genau in der Generation 50 plus die Kandidaten, die sie suchen, um ihrem Personalproblem wirksam entgegenzutreten.
Nicht zuletzt deswegen wollten wir es in der KÖNIGSTEINER Gruppe genauer wissen. Wir wollten die berufliche Perspektive erfahrener Arbeitnehmer noch tiefer durchdringen, weil wir glauben, dass hier ein wertvoller Pool an Kandidaten brach liegt. Deshalb befragten wir zunächst fast 3.000 Beschäftigte zwischen 50 und 65 Jahren dazu, wie sie ihre Rolle auf dem aktuellen Arbeitsmarkt sehen.
Mit einem bemerkenswerten Ergebnis. Mehr als 40 % von ihnen können sich einen Jobwechsel in den nächsten zwei Jahren vorstellen, stehen dem Recruiting-Markt also durchaus zur Verfügung. Diese vitale und trotzdem unschlagbar berufserfahrene Zielgruppe haben wir im Folgenden weiter dazu befragt, wie ihre beruflichen Ambitionen aussehen. Darüber hinaus wollten wir wissen, was sie von Arbeitgebern erwarten und inwieweit sie sich eine persönliche und fachliche Weiterentwicklung vorstellen können. Das Ergebnis: Hier sind Menschen unterwegs, die kein bisschen zum alten Eisen gehören. Ganz im Gegenteil.
Chance der Direktansprache wird zu selten genutzt
Schauen wir uns anhand unserer Studiendaten einmal die wechselwilligen Kandidaten mit gehobener Berufserfahrung genauer an. Erstes Ergebnis: Der Anteil der passiv suchenden Kandidaten ist deutlich größer als der Prozentsatz derjenigen, die selbst aktiv auf die Suche nach einem neuen Job gehen. Denn insgesamt geben 77 % der wechselwilligen Studienteilnehmenden an, dass sie offen für ein proaktives Jobangebot von suchenden Arbeitgebern seien. Eine deutliche Chance für Unternehmen, die auch die auch erfahrene Beschäftigte in ihre Direktansprache einbeziehen. Diese Chance nutzen allerdings derzeit noch viel zu wenige Recruiting-Abteilungen. So sind nämlich im vergangenen Jahr „nur“ ein Fünftel beziehungsweise 23 % der Kandidaten zwischen 50 und 65 Jahren direkt von Headhuntern oder Unternehmensvertretern auf einen Jobwechsel angesprochen worden. Andersherum gesagt: Mehr als drei Viertel der Menschen, die durchaus offen für ein Angebot wären, erhalten schlicht keines.
Mit Berufserfahrung deutlich produktiver als in früheren Jahren
Ein weiteres wichtiges Ergebnis unserer Studie betrifft die Selbstwahrnehmung der Gen 50 plus auf dem Arbeitsmarkt. So registriert immerhin genau die Hälfte aller Befragten ein steigendes Interesse an ihrer Arbeitskraft. Und dieser Eindruck motiviert offenbar. Denn sieben von zehn Teilnehmer geben in unserer Befragung an, diese Ausgangslage treibe sie an, sich noch einmal neu auf dem Arbeitsmarkt zu orientieren. Und genau das birgt eine große Recruiting-Chance für suchende Arbeitgeber, die mit überzeugenden Attraktivitätsmerkmalen auf offene Kandidaten-Ohren treffen können. Und das, wie wir im Folgenden sehen werden, bei einer Zielgruppe, die sich selbst alles andere als zum alten Eisen zählt.
Denn wenn es um die Einschätzung der eigenen Arbeitsfähigkeit geht, fühlt sich der weit überwiegende Teil der Gen 50 plus mindestens genauso produktiv oder produktiver als in früheren Jahren. Genau zwei Drittel der Befragten sind sich sicher, heute produktiver (29 %) oder genauso produktiv (37 %) zu sein, wie zu der Zeit als sie zwischen 20 und 29 Jahre alt waren. Ähnlich hoch ist der Wert im Vergleich zur Altersphase zwischen 30 und 39 Jahren (21 % bzw. 54 %). Für suchende Arbeitgeber bedeutet diese selbstbewusste Eigenwahrnehmung, dass die Rekrutierung erfahrener Mitarbeiter die Rekrutierung von Produktivität und Leistungsfähigkeit beinhaltet. Nicht die schlechtesten Argumente.
Unzufriedenheit mit Aufgaben und Sinnperspektive als Wechseltreiber
Wie können Arbeitgeber die erfahrene Arbeitsmarktgeneration nun überzeugen, die offenbar brach liegenden Wechselambitionen tatsächlich in die Tat umzusetzen? Die wesentlichen Jobwechsel-Treiber liegen aktuell in der Unzufriedenheit mit dem gegenwärtigen Arbeitgeber sowie in der Suche nach einer neuen Aufgabe. Ein Drittel der Teilnehmenden beklagen einen Karriere-Stillstand. Insgesamt ein Viertel der Befragten vermissen darüber hinaus die Erfüllung in ihrem Job.
Unzufriedenheit, Stillstand und Aufgabenorientierung – drei Punkte, die deutlich machen: Arbeitgeber, die der Gen 50 plus in ihrer Employer-Branding-Strategie einen eigenen Platz einräumen und ihnen dabei glaubhaft versichern können, dass ihr Beitrag geschätzt und gewollt wird, wirken überzeugend. Dazu gehört allerdings eine gewisse Wettbewerbsorientierung und das damit verbundene Wissen, welche arbeitgeberseitiger Wettbewerber hier weniger gut aufgestellt ist.
Allerdings gehört es auch zur Wahrheit, dass sich Arbeitgeber im Bewerbungsprozess auf anspruchsvolle Gegenüber einstellen müssen, die viel erlebt haben und daher genau wissen, was sie wollen. Denn wenn die Generation 50 plus den Job wechselt, ist damit die Hoffnung auf einen Gehaltssprung verbunden. Für 59 % ist der Inhalt der Lohntüte ein wichtiger Grund, einen Wechsel anzustreben. Weniger hoch im Kurs steht dagegen der Einstieg in eine Teilzeit-Tätigkeit. Arbeitgeber, die erfahrene Arbeitskräfte also eher damit locken möchten, einen geschmeidigen Übergang in eine etwas weniger zeitintensive Arbeitszeit zu ermöglichen, sind auf dem Holzweg. Vielmehr zeigen sich auch erfahrene Beschäftigte auch dann begeisterungsfähig, wenn sie eine konkrete berufliche Aufgabe reizt und diese eben besser vergütet wird als bisher.
Gefragt ist „Employer-Branding-50-plus“
Welche Handlungsempfehlungen kann man Arbeitgebern also mit auf den Weg geben, wenn es um die Rekrutierung erfahrener Kandidaten geht?
Nun, zunächst ist es wichtig, das große Potenzial, das die Gen 50 plus birgt, überhaupt erst einmal zu erkennen. Denn eines hat unsere Studie deutlich gezeigt: Mit der Generation 50 können Arbeitgeber rechnen. Über 40 % sind tendenziell wechselwillig und können sich einen beruflichen Neustart auch in ihrem Alter oder gerade deswegen gut vorstellen. Unternehmen, die auf dieses Recruiting-Potenzial verzichten, verpassen erfahrene und gut ausgebildete Bewerber.
Zweitens sollten Arbeitgeber erfahrene Kandidaten direkt ansprechen und nicht auf deren Bewerbungen warten. Die Gen 50 plus möchte angesprochen werden und nicht selbst auf die Jobsuche gehen. Das passiert, wie wir gesehen haben, derzeit noch viel zu selten.
Letztlich wird es Zeit für eine neue und bisher viel zu oft vergessene Unterdisziplin im Employer Branding der vom Fachkräftemangel so gebeutelten Arbeitgeber, dem Employer-Branding-50-plus. Denn die Generation 50 plus wird in diesem Kontext aktuell schlicht vergessen, ihr Potenzial nicht ansatzweise erkannt. Und das, während die Gen Z auf nahezu allen Kanälen umgarnt wird wie keine Arbeitsmarktgeneration vor ihr. Wer dieses Muster durchbricht und erfahrene Menschen konkret in ihren Bedürfnissen und Anforderungen abholt, gewinnt eine Zielgruppe für sich, die im Grunde alles mitbringt, was das Arbeitgeberherz begehrt. Erfahrungsschatz, Motivation, Kompetenz und Ziele, aber eben auch ein gewisses Anspruchsdenken. Aber diskutieren wir das Anspruchsdenken der Gen Z nicht schon lange genug? Oder anderes gesagt: Recruiting ist ja kein Ponyhof.
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