Auszüge aus einem Interview mit Nils Wagener für einen Ratgeber in der WirtschaftsWoche online zur Frage, wie Arbeitnehmer und Beschäftigte die Probezeit optimal nutzen können, um dauerhaft gut
zusammenzuarbeiten.
Wie wichtig ist die Probezeit, welchen Zweck sollte sie idealerweise für beide Seiten erfüllen?
Viele HR-Experten sprechen im Recruiting-Prozess vom „Perfect Match“, also davon, dass Kandidaten und Arbeitgeber zusammenfinden, die genau zueinander passen. Und in der Tat ist es über einen gut aufgesetzten Prozess möglich, dies bis zu einem gewissen Grad zu bewerkstelligen. Ganz sicher können sowohl Unternehmen als auch der neue Mitarbeitende aber erst sein, wenn sie sich im Arbeitsalltag begegnen und die Aufgaben, die sie vorher besprochen haben in dem Arbeitsumfeld, das sie vorher eben nur theoretisch durchgegangen sind, gemeinsam angehen. Hier ist die Probezeit die entscheidende Nagelprobe. Grundlegend für eine gelingende Startphase ist der Onboarding-Prozess, also die ersten gut 2-3 Wochen im neuen Job. Von diesen hängt letztlich ab, ob neue Mitarbeiter produktiv und voller Elan starten oder eben, ob sie schon wieder an einen Abschied denken.
Wie sieht Onboarding aber in der Realität häufig aus? Was sind abschreckende Negativbeispiele, die Ihnen bei der Studie untergekommen sind?
Viele Arbeitgeber mussten in den letzten drei Jahren unter erschwerten Bedingungen „onboarden“. In Zeiten, in denen viele Beschäftigte im Homeoffice arbeiteten oder eingeschränkt tätig waren, fiel die Aufnahme neuer Mitarbeiter*innen schwerer als in den Jahren zuvor. Trotzdem erhielten die Arbeitgeber hierzulande gemäß unserer Studie gute bis befriedigende Schulnoten für diese Zeit. Im Durchschnitt vergaben die Teilnehmenden für den Onboarding-Prozess bei ihrem aktuellen Arbeitgeber eine 3,1. Das ist nicht schlecht, aber eben auch kein „Hurra“. Zudem: Immerhin 57 % der Teilnehmenden sagen, dass sie mindestens einmal ein Onboarding erlebt haben, dass aus ihrer Sicht verpatzt war. Das ist dann schon besorgniserregend, wenn man sich gleichzeitig überlegt, welche Mittel Unternehmen aufwenden, um neue Mitarbeitende überhaupt erst einmal zu finden.
Die Fehler, die viele Arbeitgeber machen, liegen weniger im definierten Prozess als vielmehr in der fehlenden Mitarbeit der Führungskräfte und neuen Kollegen. Unsere Studie zeigt, dass das Onboarding oft nur eine untergeordnete Priorität bei Vorgesetzten und Kollegen besitzt. Beispiel: Mehr als ein Viertel (27 %) der Studienteilnehmer, die bereits mindestens einmal negative Onboarding-Erfahrungen gesammelt haben, hatten in den ersten Tagen das feste Gefühl, dass sich andere Teammitglieder nicht um sie kümmern konnten, weil sie schlicht keine Zeit für neue Kollegen hatten. Weitere 45 % stimmten dem tendenziell zu. Weiterer alarmierender Aspekt: Immerhin 28 % geben an, dass sich der Vorgesetzter auf jeden Fall zu wenig Zeit für sie nahm – zusätzliche 47 % schließen sich dieser Einschätzung tendenziell an.
Bitte nennen Sie die Top-5-Fehler, die Unternehmen bei der Einarbeitung machen – und wie können sie jeweils verhindert werden?
#1 Das Onboarding muss einen höheren Stellenwert bei Mitarbeitern und vor allem bei Führungskräften erhalten. Unternehmen sollten ihnen den Freiraum geben, neue Kollegen optimal einzuarbeiten. Dafür muss es geboten sein, andere Dinge liegenzulassen.
#2 Unternehmen müssen klare Verantwortlichkeiten für den Onboarding-Prozess definieren. Das Gelingen des Prozesses gehört in die Zielvereinbarungen von Führungskräften. Sie sollten an der Qualität ihrer Einarbeitung gemessen werden – nicht mehr, nicht weniger.
#3 Viele Arbeitgeber verpassen es, vom ersten Tag an mit den neuen Mitarbeitenden im Gespräch zu bleiben. So merken viele HR-Abteilungen erst gar nicht, dass etwas in die falsche Richtung läuft und können auch nicht gegensteuern. Gerade in Personalabteilungen darf mit dem gelungenen Recruiting-Erfolg die Arbeit noch nicht erledigt sein.
#4 Arbeitgeber, die davon ausgehen, dass neue Mitarbeitende erst einmal „vom Markt“ sind, irren sich. Immerhin mehr als jeder fünfte neue Mitarbeiter, der/die einen missglückten Jobbeginn erlebte, wartet nicht lange und begibt sich erneut aktiv auf Jobsuche. Jeder Zehnte kontaktiert sogar den alten Arbeitgeber, um die Möglichkeiten einer Rückkehr auszuloten und fast ein Drittel der Unzufriedenen, sind schon zu Beginn einer neuen beruflichen Station wieder ansprechbar.
#5 Arbeitgeber sollten nicht zu sorglos mit eventuell unzufriedenen Jobstartern umgehen und darauf vertrauen, dass sich alles einpendelt. Mehr als 40 % der Mitarbeitenden, die neu im Job sind, werden in ihren ersten drei Monaten von anderen Arbeitgeber-Wettbewerbern angesprochen.
Hat sich die Qualität des Onboardings in der vergangenen Zeit verschlechtert oder ließ sie schon immer zu wünschen übrig, tritt nun aber stärker zu Tage? Welche Rolle spielen hier die Pandemie oder der Fachkräftemangel?
Der viel diskutierte Fachkräftemangel hat sich längst zu einem allgemeinen Arbeitskräftemangel entwickelt. Arbeitgeber sehen sich also einem Kandidatenmarkt gegenüber, in dem Bewerbende und Beschäftigte die Regeln bestimmen, nicht umgekehrt. Das bedeutet: Beschäftigte oder Kandidaten legen heute deutlich mehr Arbeitgeberleistungen auf die Goldwaage als noch vor ein paar Jahren. In diesem Kontext schauen sie sich auch ganz genau an, wie sie bei einem neuen Arbeitgeber aufgenommen werden. Läuft das völlig konträr zu ihren Vorstellungen, machen sie keine Faust in der Tasche, sondern erwägen einen Wechsel.
Falls es noch nicht zur Sprache kam: Wie wichtig ist in der Probezeit neben der Vermittlung von Fachwissen auch die emotionale „Einarbeitung“/Bindung neuer Kollegen? Welche Hürden ergeben sich hier?
Siehe oben
Sind neue Beschäftigte vielleicht manchmal auch zu passiv? Angenommen, ich bemerke, dass meine Einarbeitung suboptimal läuft. Wie schnell sollte ich was dagegen tun und was empfehlen Sie, um proaktiv für Verbesserung zu sorgen?
Das kann durchaus vorkommen. Menschen, die das Gefühl haben, in einem neuen Unternehmen nicht gut anzukommen, sollten das Gespräch mit ihrer Führungskraft und der HR-Abteilung suchen. Letztlich sind beide Seiten daran interessiert, dass neue Mitarbeitende möglichst gut in die neue Organisation integriert werden. Oft geht das, wie wir gesehen haben, aber im täglichen Arbeitsalltag unter. Das darf nicht sein, kommt aber eben vor. Darauf sollten neue Kollegen auch selbst aufmerksam machen.
Arbeiten immer mehr Beschäftigte vielleicht aber auch buchstäblich „auf Probe“ – durchaus mit dem Hintergedanken, bei Nichtgefallen schnell wieder zu wechseln, womöglich zu einem anderen Top-Kandidaten aus dem Bewerbungsprozess?
Ich würde nicht sagen, dass neue Beschäftigte diesen Hintergedanken haben. Sie haben aber die Möglichkeit zum prompten Wechsel, einfach weil sie begehrt sind – Stichwort Arbeitskräftemangel. Unsere Studie spricht da eine klare Sprache: Satte 43 % der Jobstarter wurden in den ersten drei Monaten bei einem neuen Arbeitgeber von anderen Unternehmen zwecks Jobwechsel kontaktiert. 12 % wechselten daraufhin tatsächlich erneut den Arbeitgeber. Weitere 5 % gingen auf die Offerte ein, wechselten aber letztlich doch nicht. 26 % ignorierten die Kontaktaufnahme.
Sind abgebrochene Probezeiten ein Makel im Lebenslauf oder hat das mittlerweile kaum einen negativen Einfluss für Beschäftigte?
Der gegenwärtige Personalmangel ist so groß, dass das im Grunde kaum noch ein Ausschlusskriterium ist. Allerdings sollten Arbeitgeber im Vorstellungsgespräch klären, woran die gescheiterte Startphase gelegen hat. Nicht immer liegt die Schuld beim Arbeitgeber. Denn klar ist auch: Wir reden hier von einem Prozess, bei dem zwei Parteien zusammenfinden möchten. Also müssen auch beide den Willen mitbringen, dass es am Ende funktioniert.
Haben Sie auch untersucht, wie viele Unternehmen im Gegenzug ihrerseits während der Probezeit kündigen?
Nein.
Macht sich womöglich auf beiden Seiten eine Ex-und-hopp-Mentalität breit oder ist das zu krass ausgedrückt?
Das würde ich so krass nicht unterschreiben. Allerdings ist es eben schon so, dass viele Beschäftigte die Wahl haben. Der arbeitgeberseitige Wettbewerb schläft nicht und spekuliert teilweise sogar auf verpatzte Onboarding-Prozesse. Einfach, weil neue Mitarbeitende in der Phase der Probezeit noch keine so feste Bindung zum Arbeitgeber entwickelt haben.
Wie automatisiert sollte gutes Onboarding aussehen – und wie individuell?
Natürlich gibt es Themen, die durch fest definierte Prozesse automatisiert werden können und auch sollten. Ein klarer Einarbeitungsplan, ein schriftlicher Leitfaden für die internen Abläufe im Unternehmen sowie zur Stellenbeschreibung, sämtliche Zugänge zu internen Systemen usw. sind Themen, die stehen sollten und auch in den meisten Unternehmen gut auf die Schiene gesetzt werden.
Allerdings: Ein Neuanfang bei einem neuen Arbeitgeber ist immer auch mit einem neuen persönlichen Umfeld verbunden, das zunächst einmal Unsicherheit auslösen kann. Das ist menschlich. Um diese Unsicherheit gerade in der Probezeit zu überwinden, bedarf es einer aktiven Mitarbeit aller Beteiligten. Es gilt, den neuen Kollegen das warme Gefühl eines guten, neuen Umfelds zu vermitteln. Kurz: Es geht darum, neuen Mitarbeitern das Gefühl zu geben, dass der gerade vollzogene Jobwechsel der richtige Schritt, die richtige Lebensentscheidung war. Das ist immer wieder eine individuelle Leistung.
Was kann ein Abteilungsleiter tun, um neue Talente zu halten, wenn das Unternehmen ihm dazu generell keine Richtlinien vorgibt?
Er kann zunächst diese Richtlinien von der HR-Abteilung einfordern oder wenn es diese nicht gibt (wie manchmal in kleineren Unternehmen der Fall) die Unternehmensleitung dazu auffordern, solche Richtlinien zu erstellen. Bis dahin sollte er jeden neuen Mitarbeitenden so einarbeiten, wie er selbst auch eingearbeitet werden wollte. Tut er das nicht, verliert er vielleicht schnell einen wertvollen Mitarbeitenden und ist dann auch nicht mehr in der Lage, die geforderte Leistung für seine Abteilung zu erreichen. Und das nicht nur in der Probezeit.
Der vollständige Artikel ist hier zu lesen.